Über mich und meine Entwickelei / About Me And My Developing Passion

Kamera+Dagie+Kaffee-bunt_Bernd_Brundert

all photos © Bernd Brundert

Alles begann bei Vollmond

Mein erster selbstentwickelter ORWO (die DDR-Variante von Agfa) – Farbfilm hat geblutet! Und das kam so:

Als die DDR zusammenbrach, wurde sie ausverkauft und ich tigerte öfters rüber zum Haus der Fotografie am Alex, um Restposten zu ergattern, ORWO-Filme in schönen Verpackungen und einen „Russentank“ (Entwicklerdose aus Bakelit aus der Ukraine), den ich noch heute benutze, für 30 Ostmark.

Diese Filme hat, nach Abwicklung des letzten ORWO-Labors 1991 in Berlin-Adlershof, kein Mensch mehr entwickelt. „Macht nix“, dachte ich, „kann ich auch selber“, kaufte mir Westchemie und fädelte meinen ersten Film in die 15-Meter-Spirale. Im Dunkeln natürlich. Nicht wissend, dass man ORWOs bei 27 Grad entwickeln muss, planschte ich ihn 11 Grad wärmer. Als Ergebnis glibberte mir nach der letzten Wässerung, jetzt im Hellen, eine dickflüssige, hell-blutrote, leicht klebrige Schicht vom Film auf die Finger: Losgelöste Farbgelatineschicht. Ich hatte plötzlich ein mysteriöses Gefühl – Vollmondnacht, leicht angenebelt vom Weißwein, den ich gerne beim Entwickeln als Entspannungsritual zelebriere, menstruierte ich nicht auch? Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber so begann es.

Ich las nach. Woraus bestehen Filmschichten, wie geht Farbe, was macht Licht, wie wirke ich als Entwicklerin ein – der Zauber des haptischen Analogen krallte mich und trudelt mich jetzt, fast 30 Jahre später, ins Universum der ökologisch fast unbedenklichen Biosuppen-Entwicklung!

Das, was ich im Chemieunterricht nie gelernt habe, hole ich jetzt nach: Eine wichtige Komponente in der Schwarzweiss-Entwicklung ist Hydrochinon, ein Phenol, wahrscheinlich ein kleines bisschen krebserregend. Zumindest bei Mäusen. [http://de.wikipedia.org/wiki/Hydrochinon]. Hydrochinon wandelt die belichteten Silbersalze in metallisches (sichtbares) Silber um. Und sorgt für starke Kontraste, fettes Schwarz.

Phenole bzw. natürliche Polyphenole kommen in verschiedenen Pflanzen und Nahrungsmitteln vor: Kaffee, Tee, Rotwein, Kartoffeln, Apfelbeere, Farn, Schwarze Johannisbeere, Pilze, Vanille, Whiskey, Baumrinde, diverse Blumenblüten und so einigen mehr.

Ich mixe also obenstehende Pflanzen und Genussmittel (entsafte rohe Kartoffeln, brühe Blüten auf, häcksel und verkoche diverses Grünzeug) und mische (wichtig!) Vitamin C-Pulver (Kontrastvergrößerer, Kornputzer und Lichtklärer) und Waschsoda (Alkali: Beschleuniger, entsauert den PH-Wert) hinzu.

Die Ergebnisse können es auf alle Fälle mit herkömmlichen Entwicklern aufnehmen, da wird nichts schmierig, labberig oder braun, im Gegenteil: Ich bin immer wieder erstaunt, wie fein, graunuancenreich, kontrastig, sensibel die Suppen arbeiten (Favoriten: Kaffee, Kartoffelsaft, Magnolientee, starker bitterer billiger englischer Yorkshire Tea)! Und riechen tun sie auch interessant, ein bisschen kommt man sich wie in einer Alchimistenbrauerei vor, rührend, schnuppernd, Zauberformeln murmelnd.

Super 8 ist ein extrem sexy Material: Es ist warmfarbig, hat unschlagbare Grauwerte und Schwärzen, die man digital nie so hinbekommt, ist partiell geheimnisvoll unscharf, naturkörnig, nicht 100%ig vorhersehbar – selbst Entwickelunfälle können sich als ästhetisches Überraschungswunder entpuppen!

Und: es macht einfach höllisch Spaß, mit Lebensmitteln zu spielen!
Du öffnest eine Flasche wohltemperierten Rotwein, gießt dir ein Gläschen ein, schüttest den Rest in einen Messbecher, fügst Vitamin C und Waschsoda hinzu, rührst um, freust dich über die plötzliche chemische Reaktion, die leicht blubbert, die Suppe um 2 Grad wärmer macht und von rot zu grün-bläulich schiebt, schnüffelst vorsichtig an dem nie zuvor gerochenen Duft und hast das Gefühl, irgendwie ganz nah an (gesunder) Materie, Kunst und Spaß zu sein!
Der gesamte Text ist zu finden bei: Plan A – Alternativen für das gute Leben

Dagie sammelt Kraeuter©Bernd_Brundert

It all started at full moon

My first self-developed ORWO (the GDR version of Agfa) – colour film bled! And this is how it happened:

When the GDR collapsed, it was sold out and I used to pace over to the House of Photography at the Alex Place to get hold of remaining stock, ORWO films in beautiful boxes and a “Russian tank” (developer tank made of bakelite from the Ukraine) which I use until today, for 30 East German Mark.

After the last film labs had closed their doors nobody would develop these films any more. “Never mind,” I thought, “I can do it myself,” I bought Western chemistry and threaded my first film into the 15-meter spiral. In the dark, of course. Not knowing that you have to develop ORWOs at 27 degrees, I splashed it 11 degrees warmer. As a result, after the final rinse, a thick, bright-crimson, slightly sticky layer of film dripped on my fingers: the detached colour gelatin layer. I suddenly had a mysterious feeling – full moon, slightly dizzy from white wine that I like to celebrate as a relaxation ritual while developing, wasn’t I also menstruating? I do not remember exactly, but so it began.

I read more. What are film layers made of, How does colour work, what about light, how do I take influence as a developer – the magic of the haptic analog clawed me and trundled me now, almost 30 years later, into the universe of environmentally almost acceptable eco soups developing!

That what I never learned in chemistry class, I get to learn now: An important component in the black and white developing procedure is hydroquinone, a phenolic, probably a little bit carcinogenic. At least in mice. [http://de.wikipedia.org/wiki/Hydrochinon]. Hydroquinone converts exposed silver salts into metallic (visible) silver. And powers strong contrasts, rich blacks.

Phenols and polyphenols naturally occur in different plants and food: coffee, tea, red wine, potatoes, chokeberries, fern, black currant, mushrooms, vanilla, whiskey, tree bark, various flower blossoms and some more.

So I mix the above plants and treats (juiced raw potatoes, pour hot water on flowers, chaff and boil miscellaneous greens) and mix (important!) Vitamin c powder (contrast enhancer, grain cleaner and light polisher) and washing soda (alkali: accelerator, de-sours the PH value).

The results can at any rate compete with conventional developers, because nothing is greasy, limp or brown, on the contrary, I am constantly amazed how fine, full of gray nuances, contrasty, sensibly these soups work (favorites: coffee, potato juice, magnolia tea, strong bitter cheapest English Yorkshire Tea)! And they smell interesting, you feel a little bit like an alchemist in a brewery, whirling, sniffing, muttering incantations.

Super 8 is an extremely sexy material: it is warm in colour, has unbeatable gray tones and blacks that are digitally not possible to achieve, it is partially mysteriously blurred, has a natural grain, is not 100% predictable – even developing accidents can turn out to be an aesthetically surprising miracle!

And it just makes hell of fun to play with food!
You open a bottle of well-tempered wine, pour you a glass, throw the rest into a measuring cup, add vitamin C and washing soda, stir well, rejoice over the sudden chemical reaction that is bubbling slightly, making the soup 2 degrees warmer and shifts it from red to green-bluish, sniff cautiously at the never before scented fragrance and have the feeling to be somehow really close to (healthy) matter, art and fun!
The entire text can be found at Plan A – Alternativen für das gute Leben (German only)

8 thoughts on “Über mich und meine Entwickelei / About Me And My Developing Passion

  1. Hallo,

    ich arbeite für die Werbeagentur Serviceplan und wollte dir gerne zu deiner Entwickelei ein paar Fragen stellen, da wir ein Projekt verfolgen in dem es um die Entwicklung von Fotos mit Alkohol geht.
    Wenn du mal 20 Minuten Zeit hättest mit mir darüber zu sprechen wäre ich dir sehr Dankbar. Gibt es eine E-Mail Adresse oder eine Telefonnummer unter der ich dich gut erreichen kann?

    Vielen Dank und herzliche Grüße aus München,
    Patricia

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  2. Hallo, in der Kamera meines verstorbenen Vaters steckte ein Film (ORWO Chrom UT18). Laut Aussage meiner Mutter ist er dort mindestens 40 Jahre drin. Er ist damals “benutzt” worden aber hat die Kamera nie verlassen. In eine Fotolabor wurde mir gesagt, dass es keine Chemie für diesen Film mehr gibt. Fotobekantschafften auf Twitter haben mir einen Link zu ihrer Seite geschickt. Es liest sich sehr spannend, was sie machen und vielleicht besteht die Möglichkeit, dass sie für mich einen Schatz bergen. Ich würde mich freuen wenn sie mich per Mail kontaktieren können (kleinkeul {at] live [Punkt] de).
    Vielen Dank + abwartende Grüße aus Berlin
    Joachim

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